03. Mrz 2009
I did this one for www.kreuzer-leipzig.de in februar 2009 - german only
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Kommt ein Text über Phillip Boa ohne den Begriff »König des Indie-Rocks« aus? Verflixt, schon passiert. Routine hat sich bei der Rezeption seiner Musik eingestellt. Das Prozedere läuft in etwa so ab: eine Vorabsingle kommt raus, dann ein Album, das wieder gar nicht schlecht ist, eine Tour, zehn »Arschloch!«-Rufer auf jedem Konzert, zweihundert »Kill your Idols«-Wünsche und dann für die Hardcore-Fanfraktion zwei oder drei Weihnachtskonzerte in der Moritzbastei.
Der aktuelle Stand in diesem Loop? Die Vorabsingle »Lord have mercy with the 1-eyed« ist draußen, ein Mid-Tempo-Stück, das alle Chancen bekommen sollte, die anorektischen Radioplaylisten aufzuwerten. Als nächstes folgt demnach das Album! Um »Diamonds Fall«, das am 13. Februar erscheint, würdig, ehrfurchtsvoll – also wie früher in den 1990er Jahren – empfangen zu können, kommen wir nicht umhin, mehr als das Liedgut zu beschreiben.
Boa ist und bleibt einer der wenigen deutschen Musiker, der auf der Vermarktungsebene trendresistent und ohne Kompromisse den eigenen künstlerischen Weg verfolgt hat. Auf der einen Seite gibt es den recht selbstbewussten Künstler Boa und auf der anderen Seite ist da der Zweifler, der wie ein Seismograph die Zustände innerhalb der (Pop)-musikindustrie reflektiert .Oft wird übersehen, dass der Voodooclub-Chef auch nach über 20 Jahren im Musikgeschäft immer noch jeden seiner Schritte genau unter die Lupe nimmt – und eben auch die der Anderen.
So ist es auch kein Wunder, dass das neue Album mit dem nur oberflächlich als Liebeslied daherkommenden »Diamonds Fall« beginnt. Für Boa ist es auch eine »Allegorie auf Orwells 1984«, in dem sich der Protagonist einen Raum aus einer anderen, verbotenen Zeit erhält. Bei Boa geschieht dies jedoch nicht im Sinne einer negativen Rückwärtsgewandtheit, sondern im utopischen Gedenken an eine Zeit ohne Retortenmusik, ohne Businesspläne für Bands und ohne »Underground-Attitude« als Marketinggag der Majors.
Geht es auch bei den folgenden Titeln wie »Valerian« oder »The world has been unfaithful« eher poppig, schwelgerisch zu, ist diese Platte schon durch ihre bloße Existenz eine Kampfansage. Ohne Druck eines Labels und ohne Produktzyklen abzuwarten, hat Boa auf Malta eine Platte aufgenommen, die wie er selber sagt. Zunächst mal nur ihn zufrieden stellen muss. »Wenn das dann bei den Hörern rüberkommt und sie sich damit befassen wollen, ist alles cool«. Dazu gehört 2009 auch ein Jaki Liebezeit, der legendäre Can-Drummer, von dem sein Can-Kollege Czukay angeblich sagte, er spiele wie eine Maschine – »just better!«
Das liebezeittypische Drumming ohne Schnörkel und Breaks verleiht dem ganzen Album etwas Hypnotisches, was den Titeln gut steht. Auch wenn die Platte boatypisch wieder sehr facettenreich (sagt der Fan) oder durcheinander (sagt der Kritiker) ist, so wirkt »Diamonds Fall« extrem kompakt. Sogar der merklich »aus der Boaphenia-Zeit mitgeschleppte« Titel »The Race is Over« fügt sich wunderbar in die neuen Kompositionen ein. Phillip Boa ist immer noch sehr erfolgreich auf der Suche nach dem in Form und Inhalt perfekten Popsong. Nach so viel Liebe nun doch noch ein wenig Abscheu. Bei der Frage nach seinem aktuellen Hassobjekt entlädt sich dieser über Abodiensten wie Napster, weil dort die Künstler nur noch mit Cent-Bruchteilen je Song abgespeist werden können. Als Konsequenz soll das neue Album für derartige Dienste nicht zur Verfügung gestellt werden. Die fast schon klassische Downloadvariante wird es aber trotzdem geben.
Der Fokus liegt für ihn ganz eindeutig auf etwas aufwendiger gestalteten, klassischen Tonträgern: »Ich möchte, dass die Leute etwas Schönes bekommen, das sie auch gern in ihre Regale stellen, wie ein gutes Buch eben«. Natürlich wird es auch ein entsprechend schönes Vinyl-Album im Klappcover geben. Hier geht es um ästhetische Fragen, die Plattenfirmen gern nach Preisen entscheiden und vor allem oft ohne den Künstler. Boa hat sich von diesen Zwängen freigemacht und bringt mit seinem aktuellen Vermarktungsmodell viele Entscheidungen zurück zum Künstler – umgeben, beraten und unterstützt von einen Team aus ähnlich tickenden Vertrauten.
Damit verfolgt er ein ähnliches Modell wie Nine Inch Nails oder Radiohead und hat in Deutschland nach 20 Jahren mal wieder die Nase ganz vorn – zumindest in seiner Liga. Wenn man möchte, das Herz rein ist und die MP3s auf der Festplatte wenigstens halblegal, kann man dieses unabhängige Geschäftsmodell vielleicht auf »Diamonds Falls« hören. Ansonsten ist’s auch gern wie immer: einfach Rockmusik.
Nun auf ins Weltnetz zum Vorhören des Albums, das empfiehlt auch der erklärte Myspace-Fan Phillip Boa. Aber Vorsicht! Man möchte sofort per Abwrackprämie auf einen schnellen Wagen mit sicher nur gelber Umweltplakette sowie wohlklingender Anlage umsteigen und völlig CO2-unvernünftig auf der Autobahn zum nächsten Konzert von Phillip Boa and the Voodooclub fahren. Ist aber zum Glück nicht nötig – in die Moritzbastei zum Tourauftakt am 25.02. könnt ihr mit dem Rad kommen. Alexander Dreyhaupt